Liebe Leserinnen und Leser,
vielleicht kennen Sie diese in verschiedenen Versionen überlieferte Geschichte:
Ein ganz auf das innere Leben ausgerichteter Mönch wurde gefragt, warum er trotz seiner vielen Aufgaben immer so gesammelt sein könne: «Wie gestaltest du denn dein Leben, dass du so bist, wie du bist, so gelassen und so in dir ruhend?»
Der Mönch sprach: «Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; wenn ich schlafe, dann schlafe ich; wenn ich esse, dann esse ich; wenn ich trinke, dann trinke ich; wenn ich schweige, dann schweige ich; wenn ich schaue, dann schaue ich; wenn ich lese, dann lese ich; wenn ich arbeite, dann arbeite ich; wenn ich bete, dann bete ich .. .»
Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort: «Das tun wir doch auch. Aber was machst du noch, was ist das Geheimnis?»
Der Mönch antwortete den Fragenden wiederum: «Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; wenn ich schlafe, dann schlafe ich; wenn ich esse, dann esse ich; wenn ich trinke, dann trinke ich; wenn ich spreche, dann spreche ich; wenn ich schweige, dann schweige ich; wenn ich schaue, dann schaue ich; wenn ich höre, dann höre ich; wenn ich lese, dann lese ich; wenn ich arbeite, dann arbeite ich; wenn ich bete, dann bete ich …»
Da sagten die Neugierigen: «Das wissen wir jetzt. Das tun wir alles auch!»
Der Mönch aber sprach zu ihnen: «Nein, eben das tut ihr nicht: Wenn ihr steht, dann lauft ihr schon; wenn ihr geht, seid ihr schon angekommen; wenn ihr sitzt, dann strebt ihr schon weiter; wenn ihr schlaft, dann seid ihr schon beim Erwachen; wenn ihr esst, dann seid ihr schon fertig; wenn ihr trinkt, dann kostet ihr nicht genug; wenn ihr sprecht, dann antwortet ihr schon auf Einwände; wenn ihr schweigt,: dann seid ihr nicht gesammelt genug; wenn ihr schaut, dann vergleicht ihr alles mit allem; wenn ihr hört, überlegt ihr euch schon wieder Fragen; wenn ihr lest, wollt ihr andauernd wissen; wenn ihr arbeitet, dann sorgt ihr euch ängstlich; wenn ihr betet, dann seid ihr von Gott weit weg … »
Soweit diese Geschichte…
Es ist Anfang Januar und ich sitze an meinem Schreibtisch um diese Zeilen zu schreiben. Noch immer begegnen mir Gedanken von Menschen, die sich bestimmte Vorsätze für das neue Jahr vorgenommen haben. Ich selber habe lange über eine Mail nachgedacht, die mich ein paar Tage vor Weihnachten (am 19.12.) erreichte. Darin lud eine Pfarrerin zu Einkehrtagen in der Passionszeit ein. Diese Mail wurde von einem Zentrum unserer Kirche geschrieben, von der Propstei an die Dekanate weitergeleitet, von dort gelangte es in alle Pfarrämter… und ich saß da und ärgerte mich darüber.
Kurz vor Weihnachten wird eingeladen zu Einkehrtagen in der Passionszeit – Anmeldeschluss Mitte Februar. Ich war ziemlich fassungslos. Meine Gedanken waren zu dem Zeitpunkt sehr stark mit Weihnachten beschäftigt. Nun an die Passionszeit zu denken … für mich ein sehr irritierender Gedanke. Ich gebe zu: Ich hatte in dem Moment den Gedanken, dass wir als Kirche nicht so ganz „bei Trost“ sind.
Aber ist es nicht eher typisch für so viele menschliche Situationen… dass wir eben nicht im Hier und Jetzt, sondern – zumindest mit den Gedanken – schon drei Schritte weiter sind…
Meist nehme ich mir keine Vorsätze für ein neues Jahr vor. Aber wenn ich mir für mich selber – und auch Ihnen – etwas wünschen würde, dann dies: Dass es mir/ uns gelingt in möglichst vielen Situationen im Hier und Jetzt zu leben. Wenn ich gehe, wirklich zu gehen… wenn ich zuhöre, wirklich zuzuhören, wenn ich bete, wirklich zu beten…
Dies ist gar nicht so einfach, aber doch so wichtig. Und deshalb möchte ich Gott um diese Achtsamkeit bitten.
Ihr Pfarrer
Paul-Ulrich Rabe